Sonntag, 1. August 2021

Günter Faust: Krankenhauspredigten

Aus dem hl. Evangelium nach Johannes Joh 6,24-35
In jener Zeit, als die Leute sahen, dass weder Jesus noch seine Jünger am Ufer des Sees von Galiläa waren, stiegen sie in die Boote, fuhren nach Kafárnaum und suchten Jesus. Als sie ihn am anderen Ufer des Sees fanden, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du hierhergekommen? Jesus antwortete ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird! Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem Siegel beglaubigt. Da fragten sie ihn: Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen? Jesus antwortete ihnen: Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. Sie sagten zu ihm: Welches Zeichen tust du denn, damit wir es sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen. Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben. Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot! Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.

Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Mitarbeitende!
Herman van Veen, der niederländische Barde, hat schon vor Jahren ein altes bretonisches Lied besungen, das Vielen von uns sehr geläufig ist.: „Was wollen wir trinken, 7 Tage lang, was wollen wir trinken, so ein Durst.“
Bei alldem, was wir in dieser Zeit erleben, Pandemie, Unwetterkatastrophen, Leverkusen, scheint mir ein wichtiger Blick verloren zu gehen oder in den Hintergrund zu treten. Auch an diesem Tag sterben nicht wenige Menschen auf dieser Welt an Hunger und ganz besonders Kinder. Die Welt scheint mehr durcheinander zu geraten, die Aufgaben immer mehr. Ich bin überwältigt von der großen Bereitschaft, oft auch unkonventionell zu helfen und für andere da zu sein. Ja, „es wird genug für alle sein, wir trinken zusammen, nicht allein.“
Es ist genug für alle da. Diese Aussage ist nicht neu. Die Erde bietet so viel, dass kein Mensch verhungern müsste. Die Frage der Umsetzung und der Bereitstellung der Lebensmittel ist die Herausforderung. Viele Menschen setzen sich für die gerechtere Verteilung der Güter ein. Fragen werden gestellt, welche Voraussetzungen nötig sind, um ein Stück Fleisch zu produzieren. Monokulturen wurden geschaffen, um die Bedürfnisse eines Teiles unserer Bevölkerung zu befriedigen. Viele Menschen spüren, dass nicht erst seit heute manche Dinge im Argen liegen. Wir ernähren uns, werden aber in bestimmten Bereichen nicht satt. Wir sehnen uns nach guter geistiger und auch körperlicher Nahrung. Wir erleben, wie viele Lebensmittel weggeworfen werden. Unsere Tafeln erhalten zum Glück viele Dinge, die noch gut sind, aber eventuell sonst entsorgt würden. Die Schere oder die Diskrepanz zwischen den Lebenseinstellungen werden immer größer. Aber wiederum kommen Menschen auf gute, neue Ideen, wie sie die Welt auch im Kleinen verändern können.
 1. August 2021
Wir haben am letzten Sonntag das Wunder der Brotvermehrung gehört. Heute fragen die Menschen, wie sie das Erfahrene bewahren und weiterführen können. Sie laufen Jesus nach. Sie wollen nicht nur den Bauch gefüllt wissen. Sie sehnen sich vielmehr nach der Kraft, durch die sie verantwortungsvoll handeln können.
Sie haben von Jesus erfahren, wie viel Kraft vom Teilen ausgehen kann. Dabei ist es nicht wichtig, dass unser Kühlschrank oder die Vorratskammer immer gut gefüllt sind. Vielmehr sind uns die Gaben dieser Erde geschenkt. Nicht umsonst beten viele Menschen vor und nach dem Essen und drücken damit ihre Dankbarkeit aus, und dass nicht alles selbstverständlich ist. Sie danken der Schöpfung und dem Schöpfer, der ihnen alles erst ermöglicht hat. Die Israeliten haben das Manna in der Wüste nicht von Mose empfangen, vielmehr regneten die Dinge aus dem Himmel, damit sie ihre Mahlzeit zubereiten konnten. Sie haben erfahren, wie in der Brotvermehrungsgeschichte, dass es viele Dinge gibt, die wichtiger sind, wie wir manchmal meinen. Zufriedenheit fängt nicht nur bei mir persönlich an, sie orientiert sich gerade auch am Mitmenschen.
„Dann wollen wir schaffen, komm fass an. Und das wird keine Plagerei. Wir schaffen zusammen, nicht
allein.“ Menschen setzen sich schon jahrelang für mehr Gerechtigkeit und gegen den Hunger ein. Auch kirchliche und staatliche Organisationen haben dort ihren Ursprung. Ich höre wenig Stöhnen der Menschen, die in den Flutgebieten mit anpacken, auch wenn sie manchmal bis an ihre Grenzen gehen. Eine Plagerei wäre es, wenn sich die Betroffenen alleingelassen fühlen müssten. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen wissen, dass sie gebraucht werden. Sie spüren, was es heißt, eventuell selbst in eine solche Situation geraten zu können. Menschliches Vermögen wie auch der Glaube können zusammen oft Berge versetzen.
Für uns ist es wichtig, der Zukunft zu vertrauen, zu schauen, wie manches weitergehen kann. Ich erlebe auch, dass der Frust bei den Menschen zunimmt, weil sich die Dinge zu häufen scheinen. Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht in Sicht. Der, der mit mir zusammen das Brot aß, kann mich verstehen, in welchen Situationen ich lebe. Wir haben nicht nur gegessen und getrunken, wir haben uns auch von den Hoffnungen und Träumen erzählt. Wir wollen im Moment vieles verändern. Wir sehen das veränderte Klima, wir erkennen zunehmend, wie die Dinge zusammengehören, wie sie sich gegenseitig bedingen. Wir erkennen, dass viele Dinge auch hausgemacht sind. Gott nimmt uns die Arbeit nicht ab, vielmehr stärkt er uns, die Dinge anzugehen. Er ist und gibt uns seine Nahrung.
Es ist gut, gerade in bewegten Zeiten nach Gott Ausschau zu halten. Wichtig ist es, als Kirche auch in den unterschiedlich schwierigen Situationen Hilfe anzubieten. Die Menschen haben Hunger. Die richtigen Rezepte zu finden, ist die Aufgabe nicht nur heute. Den Geschmack zu treffen scheint nicht immer leicht zu sein. Aber bekanntlich kommen der Geschmack und der Appetit auch beim Essen. Menschen probieren neue Rezepte aus, sie haben aber auch die alten, die ihnen vorher schon geholfen haben. „Dann kriegt der Frust uns nicht mehr klein. Wir halten zusammen, keiner kämpft allein.“
Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Sonntag
Ihr und Euer Pfarrer Günter Faust


Zum 25. Juli 2021, dem Tag des Hl. Jakob
Aus dem hl. Evangelium nach Johannes Joh 6,1-15
In jener Zeit ging Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tiberias heißt. Eine große Menschenmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. Das Pascha, das Fest der Juden, war nahe. Als Jesus aufblickte und sah, dass so viele Menschen zu ihm kamen, fragte er Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben? Das sagte er aber nur, um ihn auf die Probe zu stellen; denn er selbst wusste, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll. Einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagte zu ihm: Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele? Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen! Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer. Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen. Als die Menge satt geworden war, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt! Sie sammelten und füllten zwölf Körbe mit den Brocken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren. Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen. Daher zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.

Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Mitarbeitende!
Es grenzt an kein Wunder, dass die Menschen Jesus dingfest machen wollen und seiner habhaft. Ist es nicht zu bequem, wenn wir einen solchen „Goldesel“ an unserer Seite haben, wie im Märchen von Tischlein deck dich. Es wird immer unterschiedliche Menschen geben, die die Situationen verschieden deuten und auch auf ihre je eigene Weise reagieren wie im Märchen. Ich stelle fest, dass die Geschichten, die Textstellen, die uns an den Sonntagen angeboten werden, sehr bedeutsam und hilfreich für unseren Alltag sein 
können und sind.

Was wir nun heranziehen, um die letzten Tage zu deuten, sei dahingestellt.
Bei der Brotvermehrungsgeschichte fiel mir spontan dieses Märchen ein.
Was war in der Geschichte in Galiläa geschehen? Menschen hatten sich auf den Weg gemacht, waren diesem Jesus nachgelaufen, weil sie sich viel von ihm erhofften. Sie hatten allerdings vergessen, bei all ihren Gedanken, den Proviant einzupacken. Auch das bekommt Jesus mit. Er stellt die Jünger auf die Probe. Er fragt die Jüngerinnen und Jünger, was sie nun tun wollen, um die Vielen zu sättigen. Philippus scheint das Talent eines Kaufmanns zu besitzen, als er sagt, dass Brote
für zweihundert Denare nicht ausreichen, geschweige denn, wo sie sie herbekommen sollten, um die Vielen zu sättigen. Sie machen die Augen auf, nehmen den kleinen Jungen wahr mit seinen fünf Broten und zwei Fischen. Jesus stellt gerade ein solches Kind in die Mitte, um zu zeigen, dass wir nicht die Mengen organisieren müssen, sondern mit unseren eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten anfangen, auch wenn sie noch so gering sind. Denn dann kann und will Gott selbst auch eingreifen und mit anpacken. Das ist wirklich oder 
5. Juli 2021
das wird wahrhaftig das Wunder. Unsere Kräfte verbinden sich mit denen Gottes. Er lässt uns nicht allein und im Regen stehen. Er ist solidarisch mit uns. Immer noch gehen mir die Bilder der Überschwemmungen im Kopf umher und werden es noch lange sein.

Wenn Menschen zunächst überprüfen, was denn jeder und jede einzelne helfen kann, dann würde es nicht auch die Bilder geben, die in überwältigender Weise deutlich zeigen, zu was alle in der Lage sind. Zunächst wildfremde Menschen machen sich mit Schaufel und anderem Gerät auf den Weg zu denjenigen, die Hilfe brauchen. Und irgendwie werden aus Fremden Freunde in der Not. Ich glaube, was die Helfer am meisten motiviert, ist das, was den anderen geschehen und widerfahren ist, ihnen auch geschehen könnte. Auch sie würden ungern mit der Situation allein sein und überfordert werden. Da bekommt dieses bekannte Wort, dass geteiltes Leid halbes Leid wird, mehr an Aktualität. Ich weiß nicht, wohin ich genau fahren muss, aber
irgendwo werde ich schon gebraucht. Und wer nicht die Kraft oder die Möglichkeit hat, mit anzupacken, kann auch durch schon geringe Geldbeträge mithelfen. Jeder schaut, was er oder sie entbehren kann.
Dinge und Geräte werden organisiert, um einen Keller oder eine Wohnung zu trocknen. Unterkünfte und Wohnungen werden bereitgestellt, um andere aufzunehmen. Uns begegnen nicht die Bilder von Plünderungen, Menschen machen nicht das Geschäft mit der Not der Menschen. 
Ein Bauunternehmer, schon siebzig Jahre alt, setzt sich auf seinen Bagger und befreit den Abfluss einer Talsperre unter Gefahr seines eigenen Lebens. Was ihm, wie er sagt, geholfen hat, ist der Rosenkranz, den er immer mit sich trägt und das Gebet und die Bitte an Gott, dass er ihm helfen möge. Und was ist, er ist glücklich, dass er helfen durfte.
Menschen rücken in der Not zusammen. Es sind die Menschen, die Vorbilder für andere sind. Keine und keinen lässt die akute Lage kalt.

Ja, das ist das Wunder in diesen Tagen in Rheinland-Pfalz, NRW und dem Alpengebiet. Menschen rücken zusammen. Und dann soll noch einer sagen, dass …
Auch gibt es Menschen, die einen Schuldigen brauchen und suchen. Das ist doch immer so. Ich glaube nicht, dass die Worte, die gesprochen wurden, nur leere Versprechungen sind. Diese, wie auch künftige Katastrophen, verlangen von allen mehr ab, als wir auf den ersten Blick erkennen. Ich frage mich, warum erst schlimme Dinge passieren müssen, dass Menschen wach werden und Veränderungen in die Wege leiten.
Das Wunder der Brotvermehrung wird einem kleinen Ort namens Tabhga am See Genezareth mit dem berühmten Mosaik zugeschrieben. Es ist ein Ort, der durch Naturgewalten gekennzeichnet ist. Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass es gerade dort geschehen ist. Es kann schon sein, dass Gott uns dadurch zeigen will, dass er zu allen Zeiten bei uns ist und uns die nötigen Kräfte vermittelt, die gebraucht werden.
Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Sonntag
Ihr und Euer Pfarrer Günter Faust


Zum 18. Juli 2021

Aus dem hl. Evangelium nach Markus Mk 6,30-34
In jener Zeit versammelten sich die Apostel, die Jesus ausgesandt hatte,
wieder bei ihm und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten.
Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!
Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. 
Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an.
Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.


Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Mitarbeitende!
Die Schulferien haben begonnen. Die Menschen sind urlaubsreif. Sie sehnen sich danach, abschalten zu können und bei sich anzukommen und zu sich zu finden. Wir halten Ausschau nach alter Normalität trotz Pandemiezeit. Wir würden gern einfach nur entfliehen. Und dann gibt es auch neben diesen Wünschen von uns auch diejenigen, die andere Vorstellungen vom Leben haben.

Ich nehme zurzeit die Bilder aus Mallorca zur Kenntnis, wo Gruppen von englischen und deutschen Urlaubern sich an keine Auflagen halten. Sie machen damit anderen, die sich auch die Erholung verdient haben, die Möglichkeit zu unbeschwertem Abschalten zunichte. Ich kann aber genauso wenig die Bilder überfüllter Fußballtempel in London, St. Petersburg oder anderer Orte verstehen. Auch hier müssen sich FIFA, UEFA und DFB hinterfragen lassen, welche Beispiele sie Menschen geben. Die Zahl der dort Neuinfizierten ist nicht gering. Ist denn die Ausgelassenheit und das über die Stränge schlagen und sich an keine Grenzen halten, das lang Ersehnte und Wichtige?

Wenn ich Menschen zuhöre, dann werde ich mit der Sehnsucht nach Abschalten, Auftanken, Ruhe und Alltag vergessen konfrontiert. Ich möchte auch mal wieder etwas anderes sehen. Das Leben genießen möchte ich auch mal wieder. Sonne und Wärme auftanken gehören dazu wie die Unbeschwertheit, die uns schon lange abhandengekommen ist.
Dann sehe ich die verheerenden Bilder in unserer Stadt Hagen. Die betroffenen Menschen haben alles andere im Sinn, als jetzt in Urlaub fahren zu können. Sie sehen zum Teil ihre Existenz bedroht. Wir merken, wie schnell doch aufgrund von Naturgewalten ein ganzes Kartenhaus in sich zusammenbrechen kann. Die Betroffenen hoffen darauf, von anderen mit aufgefangen zu werden. Ich sehe die vielen Helfer aus dieser Stadt oder auch aus der Umgebung. Menschen rücken zusammen und tun, was ihnen nur möglich ist. Ein Pflegeheim muss evakuiert werden und andere Heime und unsere Krankenhäuser sind sofort bereit, die Gäste für den Übergang aufzunehmen.
Aus manchem Gespräch wurde ich gewahr, was es heißt,
als pflegebedürftiger 
Mensch hilflos den Dingen ausgeliefert zu sein.   8. Juli 2021
Ich bin froh, wenn ich ein Dach über dem Kopf habe, aber auch eine Perspektive verspüre, 
wie es weitergehen kann. 
Die Fragen, die dann da sind, sind wesentlich existentieller.
Gerade diese beiden Situationen nebeneinander gestellt, können nicht extremer sein.
Für mich ist in diesem Zusammenhang wichtig zu betonen, dass es unterschiedliche Zeiten und Situationen gibt. Die Zeit des Auftankens und der inneren Ruhe ist genauso wichtig, um dann auch Zeiten durchstehen zu können, in denen ich wirklich extrem herausgefordert werde.

Jesus zeigt den Jüngerinnen und Jünger, dass die Sorge um sich selbst und die Sorge, das Dasein für andere zusammen gehören. Nicht umsonst gibt es den Ausspruch, dass einer, der nicht genießen kann, irgendwann auch ungenießbar wird. Wenn ich für mich etwas tue, für mich sorge, tue ich gleichzeitig auch etwas für andere und umgekehrt. Es ist wichtig, um die eigenen Bedürfnisse zu wissen und den Respekt und die Achtung vor anderen nicht zu vergessen.
Für manche ist es im Urlaub wichtig, sich nicht um alles kümmern zu müssen, sich auch mal an den gedeckten Tisch setzen zu können, sich bedienen zu lassen. Andere brauchen die Sonne und Wärme, äußerlich wie innerlich. Gemeinsam Erlebnisse zu haben, von denen wir noch lange erzählen können, sind aufbauend. Andere lassen sich von unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen inspirieren. Es gibt auch für manche die Möglichkeit, sich in die Abgeschiedenheit eines Klosters oder einer anderen Gemeinschaft zurückzuziehen. Egal wie die Wege und Möglichkeiten in unseren Urlaubszeiten aussehen, es geht nicht darum, unseren Alltag zu betäuben, vielmehr können wir über die Dinge nachdenken, die bisher liegengeblieben sind. Der Blick auf unser eigenes Leben ist genauso wichtig, wie der Blick auf andere, die mit ihrem eigenen Dasein für mich Anregung sein können.
Nicht nur die Pandemiezeit, nicht nur die Naturgewalten fordern mich heraus, es sind auch die Bilder, die sich so konträr zu meinen Vorstellungen verhalten.
Jesus hatte Mitleid mit den Menschen. Er hat sie nicht bedauert und sich damit zurückgezogen. Er nimmt ihre Situation wahr und begleitet sie in ihrer Situation. Er kennt ihre Sehnsüchte und ihr Verlangen. Er bietet ihnen Handwerkszeug an, mit dem sie umgehen und arbeiten können. Ein Hirte führt seine Herde zu den Gründen, in denen sie auftanken können und an denen sie in die nötige Kraft für die anstehenden Aufgaben bekommen.
Egal wie urlaubsreif Sie sind,
mit welchen Herausforderungen Sie konfrontiert sind,
was Sie zu Ihrem 
Wohlbefinden benötigen, seien Sie gewiss, dass in der Ruhe die Kraftquelle für etwas Neues steckt.

Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Sonntag
Ihr und Euer Pfarrer Günter Faust



Zum 11. Juli 2021
Aus dem hl. Evangelium nach Markus Mk 6,7-13
In jener Zeit rief Jesus die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. Er gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen. Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst! Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, ihnen zum Zeugnis. Und sie zogen aus und verkündeten die Umkehr. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.

Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Mitarbeitende!
In den letzten Monaten seit dem Beginn der Pandemie haben die Müllabfuhr und die Wertstoffhöfe über eine hohe Belastung oder auch Überlastung zu klagen. Viele haben die Zeiten des Lock down genutzt, ihre Wohnungen oder auch Keller auszumisten. Wir haben gemerkt, wieviel Unnötiges wir im Laufe der Zeit angesammelt haben. Viele Dinge meinen wir, irgendwann doch noch mal gebrauchen zu können. Es wird dann durch die Aussage unterstrichen, dass wir etwas gebrauchen würden, wenn wir es gerade entsorgt hätten. Mir persönlich geht es auch nicht anders.
Ich habe aber auch eine andere Erfahrung gemacht. 
Mit zunehmender Nutzung des Internets stelle ich fest, dass in meinem Arbeitszimmer viele Dinge, die ich brauche, auch leichter im Netz unter bestimmten Stichworten zu finden sind. Ich merke, dass ausgelöst durch ein fundiertes Wissen, ich sehr schnell etwas recherchieren kann. Ich habe mir mit der Zeit Vieles an Grundlagen angeeignet. Vielleicht fällt es mir daher auch leichter, mich von manchen Dingen zu trennen. Ich weiß, dass ich mich über Dinge informieren muss. Aus meinem Studium ist mir die Aussage noch sehr vertraut, dass ich nicht alles sofort wissen muss, zwar einiges schon, bei anderen Zusammenhängen muss ich nur wissen, wo etwas steht.
Nehmt keinen Vorratsbeutel mit, den ihr nur unnötig tragen müsst. Befreit euch von unnützen Dingen. Jesus möchte uns darauf hinweisen, dass es uns und den anderen weiterhilft, wenn wir wieder anfangen, wirklich zuzuhören. Wir bringen uns selbst mit ins Spiel. Nicht mit einem Koffer voll Lösungen und Vorschlägen konfrontieren wir die anderen.
Begegnung geschieht im wirklichen Hören und Spüren. Wir sind gemeinsam auf der Suche nach Lösungen. Viele von uns tun sich leichter, anderen perfekte Lösungen anzubieten. Schwieriger und aufwendiger ist es allerdings,
sich Zeit für andere zu nehmen. Wir müssen nicht alles einfach nur abhaken. Gerade solche Dinge spüre ich in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen. Wir sind als Mediziner*innen schnell geneigt, Vieles nur noch unter dem Blickwinkel von DRGs zu betrachten. Wir reden von den guten alten Zeiten, in denen zunächst zugehört und nachgefragt wurde, bevor eine Diagnose gestellt wurde. Viele Dinge sind viel komplexer als auf den ersten Blick. In der Pflege wird die Belastung auch immer mehr, wir sind gezwungen zu priorisieren, um mit unseren Kräften gut haushalten zu können und nicht permanent über unsere eigenen Grenzen gehen zu müssen. 
Viele Dinge stehen in Wirtschaft und Politik unter einem hohen Druck. Oft bleiben dabei Menschen auch auf der Strecke. Nicht umsonst leiden Menschen . Juli 2021
unter der Situation und reagieren körperlich wie psychisch auf den erzeugten Druck. 
Aus dem seelsorglichen Umfeld weiß ich, dass Menschen nicht zwischen Tür und Angel begleitet werden wollen. Es kann manchmal zwar gut sein, ein kurzes gutes Wort zu sagen, viele Dinge erfordern auch einen tieferen Blick.
Wir stellen fest, dass zunehmend Menschen sich nach Halt, Ruhe und Orientierung sehnen. Dazu gehöre ich auch, nicht nur die anderen. Ich weiß, dass auch mein Tag nur 24 Stunden hat und ich auch meine Erholung und den Schlaf brauche.

Tim Bendzko hat vor einiger Zeit in einem Song davon erzählt, dass er nur mal kurz die Welt retten muss.
 „Noch 148 Mails checken - Wer weiß was mir dann noch passiert, denn es passiert so viel - Muss nur noch kurz die Welt retten - Und gleich danach bin ich wieder bei dir.“
Zahlreiche SMS oder sonstige Botschaften können nur einen geringen Teil verändern. Ich weiß, dass ich diese Welt nicht retten kann, das wäre größenwahnsinnig, vielmehr ist diese Welt durch Jesus schon gerettet. Ich darf mich mit meinen Fähigkeiten und Begabungen einreihen.
Viele Menschen in der Gesellschaft trauen uns in der Kirche viele Dinge heute nicht mehr zu, weil Vieles durch Menschen in der Kirche verdunkelt worden ist. Doch gibt es auch viele Errungenschaften, durch die Menschen wieder zu sich gefunden haben. Wir könnten auch Viele aufzählen, vor denen wir noch heute hohen Respekt und Dank empfinden. Ich bin darüber glücklich, dass ich auch in meinen Krisenzeiten in der Kirche Menschen getroffen habe, die mich begleitet und mich weitergeführt haben.
Jesus sagt uns nicht umsonst, dass in dieser Welt genug auf uns wartet, er seine Jünger und Jüngerinnen je zu zweit, also nicht allein, ausgesandt hat. Sie sollen sich gegenseitig stärken. Denn auch diejenigen, die für andere da sind,
brauchen ihre Tankstellen. Vieles liegt nicht nur erst heute im Argen, vielmehr wiederholen sich die Dinge. Er hat die Menschen ermutigt, die Dinge beim Namen zu nennen. Wir haben unterschiedliche Fähigkeiten. Indem wir zu unseren Charismen, aber auch zu unseren Schwächen stehen, ermutigen wir auch andere, ihre eigenen Wege zu gehen. Jesus
geht es in seinem Auftrag darum, Nähe zuzulassen. Heilung geschieht gerade dadurch, dass ich empathisch bin, bei allem nötigen Respekt, Menschen auch in Krankheit körperlich nahe zu sein, einem Menschen die Hand aufzulegen und ihn zu berühren. Wir zeigen dadurch, dass der andere Mensch uns nicht egal ist. In dem wir uns aus manchen Situationen verabschieden, zeigen wir auch, dass wir keinen Menschen von uns abhängig machen wollen. 
Vielmehr geht es um die Freiheit jedes einzelnen Menschen.
Beruhigend für mich ist es, dass die Welt schon gerettet ist, schön, dass ich meinen Anteil zu einer besseren Welt beitragen kann, herausfordernd ist es aber besonders, akzeptieren zu müssen, dass es manche gibt, die nichts verändern wollen und das Vieles so bleiben wird, wie es bisher schon immer gewesen ist.
Dabei hilft mir ein Gebet von Reinhold Niebuhr: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Die positiven Erfahrungen unseres Lebens und unseres Glaubens möchte ich nicht unter den Tisch fallen lassen. Ich möchte aber auch die Menschen ermutigen, durch den Glauben motiviert, sich auf den Weg zu machen. Wir sehen alle die zahlreichen Brandherde unserer Zeit. Wenn wir alle nur einen kleinen Teil dazu beitragen, dass die Welt besser
wird …
Aus Lateinamerika gibt es den Ausspruch: „Wenn einer alleine träumt, bleibt es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“

Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Sonntag
Ihr und Euer Pfarrer Günter Faust



Zum 04. Juli 2021
Aus dem heiligen Evangelium nach Markus 6,1-6.
In jener Zeit kam Jesus in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge.
Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles?
Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Und Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte dort.

Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Mitarbeitende!
Wenn ich mit vielen Eltern oder Großeltern zusammenkomme, erzählen sie voller Stolz von ihren Kindern oder Enkelkindern. Sie freuen sich darüber, was sie schon alles können, wenn sie noch jung sind. Wenn sie schon älter sind, berichten sie davon, was aus ihnen geworden ist. Ähnlich ist es auch in der Verwandtschaft. Die andere Seite ist aber auch das Unverständnis, wenn die Kinder ihre eigenen Wege gehen, ihre anderen Vorstellungen offenbaren, wenn sie nicht mehr das machen, was wir ihnen zugeschrieben haben, was wir von ihnen erwarten. Sie spielen nicht mehr mit.
Wir sind stolz, aber können es auch nicht so ganz verstehen, wenn die Kinder was Besonderes sind. Ob es dann der Neid der anderen ist oder ob bestimmte Wege vorgezeichnet sein müssen.
Eltern können nicht immer erwarten, dass die Kinder in ihre Fußstapfen treten, ggf. ein Geschäft, vorgezeichnete Wege übernehmen. Aber manche haben aber auch ihre besonderen Fähigkeiten und möchten sie nutzen. Sie gehen ihre eigenen Wege. Doch wir schreiben allerdings oft die Gedanken und Handlungsweisen gern für andere vor. Vieles wissen wir schon im Vorhinein besser und tun es auch ungefragt kund. Wie viele Bundestrainer haben wir in unserem Land in den letzten Wochen gehabt? Wie viele Geister meinen zu wissen, wie wir am besten durch die Pandemiezeit kommen? Viele Situationen sind eingefahren. Sie können nur weitergeführt werden, wenn ein Blick von außen dazukommt. Nicht umsonst werden Bereiche wie Supervisionen immer beliebter und notwendiger.
Als wenn wir uns im persönlichen Umfeld nicht mehr zugestehen würden, ob nicht mehr Möglichkeiten
für uns selbst vorhanden wären, schauen wir lieber nach außerhalb.
Wir können uns doch auch von den Kindern inspirieren, anregen und weiterführen lassen? Und zählt der Prophet in der Heimat wirklich nichts mehr? Stolz und Unverständnis.
Wir haben früher spaßeshalber gesagt, dass es gut ist, wenn wir unsere Eltern groß haben. Jüngere gehen mit vielen neuen Situationen viel unbedarfter um, Ältere leben vielmehr aus den Erfahrungen, die sie gemacht haben.
Ich möchte weder das eine gegen das andere ausspielen, 
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noch bestimmten Dingen ihre Berechtigung absprechen.
Entdecke, was in dir steckt. Genauso gehört es dazu, dass der Schuster bei seinen Leisten bleiben soll. Was für mich das wichtige und weiterführende Denken in der Geschichte mit Jesu Ablehnung in seiner Heimat ist, dass er sich trotz alledem nicht entmutigen lässt. Er geht seinen eigenen Weg. Er ist sich seiner Möglichkeiten bewusst. Wir können es auch theologisch ausdrücken, dass er sich seiner Berufung gemäß verhält. So macht er vielen Menschen Mut, die andere Wege gehen wollen. Nicht die Tradition oder Ehre stehen im Vordergrund. Eine Zeit, die viele Veränderungen mit sich bringt, beinhaltet auch die Sorge, wie es weitergeht. Einige ziehen sich in ihre Burg oder Festung zurück, andere lassen sich aber auch auf neue Dinge ein, die spannend sein können. Bei allem kann man sagen, dass es nie langweilig werden wird. Jesus zeigt den Menschen seine große Offenheit, er weiß aber auch, wo seine Wurzeln liegen. Er rechnet nicht mit seiner Vergangenheit ab, vielmehr legt er den Menschen nahe, mit neuen Augen zu sehen und wahrzunehmen. Er möchte neue Wege gehen dürfen. Propheten haben die Aufgabe und das Recht, unbequem sein zu dürfen. Wenn wir weitergeführt werden sollen, werden uns auch Dinge begegnen, die uns nicht passen. Propheten sind nicht immer everybodies darling. Sie ecken an. Auch die christliche Botschaft muss den Menschen nicht nur nach dem Mund reden. 
Ich denke an Bereiche wie die Diskussion um das Kirchenasyl, um die Solidarität mit den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer zu uns kommen. Dazu kommt auch, wie Menschen leben und leben wollen und wir es lassen. Die Botschaft fängt auch im eigenen Stall an, es hört auch dort nicht auf. Ich höre bei diesen Bereichen schon die Stimmen, wie ich so etwas doch in den Mund nehmen kann. Ja, Propheten dürfen anders sein. Sie werden nicht nur in der Heimat Gegenwind erfahren. Jesus denkt sich seinen Teil und geht weiter neue Wege. Diese sind aber notwendig.
Geben wir uns doch die nötige Freiheit und Offenheit, setzen wir uns aber auch mit unserer Geschichte auseinander. Auch hier liegen bei uns Sehnsüchte, die bei uns nicht erfüllt worden sind, freuen wir uns doch auch darüber, wenn andere ihre Wege gehen dürfen. Wir dürfen sie dabei auch begleiten. Die Offenheit und nicht in erster Linie die Tradition ist die Voraussetzung, dass etwas Neues entstehen kann.
Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Sonntag
Ihr und Euer Pfarrer Günter Faust




Zum 27. Juni 2021
Aus dem heiligen Evangelium nach Markus 5,21-24.35-43
Jesus fuhr wieder ans andere Ufer hinüber und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war, kam einer der Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt! Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn.
Während Jesus noch redete, kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten: Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger?
Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht! Glaube nur! Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers.
Als Jesus den Tumult sah und wie sie heftig weinten und klagten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus. Er aber warf alle hinaus und nahm den Vater des Kindes und die Mutter und die, die mit ihm waren, und ging in den Raum, in dem das Kind lag. Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: 
Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute waren ganz fassungslos vor Entsetzen. Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.

Liebe Patientinnen und Patienten, liebe Mitarbeitende!
Talita kum! Ich sage dir, Mädchen, steh auf!
In der heutigen Geschichte geht es um Zukunft, um Auferweckung. Aber um dies begreifen zu können, muss ich allerdings viel früher anfangen. Die Geschichte beginnt mit den drängenden Fragen unseres Lebens. Wenn ich Leben begreifen will und es zu schätzen weiß, muss ich mich zu den Eckpunkten unseres Daseins bekennen. Wir erleben immer beide Seiten der Medaille. Wenn ich immer nur denke, das Leben wird so weitergehen, betrüge ich mich auf eine gewisse Weise. Wer im Bereich des Krankenhauses arbeitet, muss sich mit der Frage des Leides und des Sterbens, wie auch dem Gesundungsprozess auseinandersetzen. Wenn ich mir nicht eine Antwort selbst geben kann, gerate ich
ins Schleudern. Die Frage nach Leid und dem Ungerechten im Besonderen fordert mich schon heraus. Besonders belastend wird es nach wie vor, wenn Kinder betroffen sind.

Wenn wir Menschen nicht mehr weiter wissen, versuchen wir die Verantwortung auf andere abzuschieben. Die andere Möglichkeit ist diejenige, es als gegeben hinzunehmen. Das ist halt so. Warum willst du dich denn noch abmühen? Es hat doch eh‘ keinen Zweck. Was soll´s. Wir geben manchmal zu früh auf. An einem solchen Punkt setzt Jesus in der heutigen Geschichte sein Wirken an. Auch wenn wir nicht weiterwissen, für Gott sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Der Vorsteher bittet Jesus zunächst um Heilung. Er vertraut ihm, seine Geschichte ist eine mit Vertrauen und Glaube. Und auch er muss erfahren, dass es trotz allem keinen Garantieschein gibt. Auch er wird in die kritischen Situationen geführt. Hör doch auf, weiter zu hoffen, wo es keine Hoffnung gibt, sagen die anderen. 
Wir müssen mit dem Unabdinglichen zurechtkommen. Sie halten Jesus für weltfremd, als er
ihnen sagt, dass das Mädchen nur schläft. Hast du sie noch? Aber er vermittelt ihnen eine andere Perspektive.
2021
Auch im Tod ist Leben. Nichts wird vergehen. Und am Ende der Geschichte sagt er banal, dass sie dem Mädchen etwas zu essen geben sollen, also etwas, was sie weiter am Leben erhält, was sie braucht.
Vieles ist in den letzten Monaten zusammengebrochen. Aber warum sollten wir einfach nur aufgeben statt weiter zu schauen? Menschen reden davon, dass sie mal alles hinter sich lassen und in den Urlaub fliegen wollen. Normalität oder Risiko? Wir merken, dass sich unser Leben grundlegend verändert hat. Wie wird denn nur alles weitergehen? 

Auch in der Kirche ist die Situation extrem. Strukturen brechen zusammen, vieles kommt ans Licht, was auch dort hin gehört. Und doch erlebe ich nicht nur den Untergang, sondern auch Punkte von Hoffnung. Reinhard Marx hat vor Kurzem das Wort Alfred Delp‘s aufgegriffen, das er 1945 in Plötzensee aufgeschrieben hat. Gut ist es einen Blick genauer drauf zu werfen. Was bedeutet es, wenn die Kirche an einem toten Punkt angelangt ist?
„Die Kirchen“, so schreibt Delp, „scheinen sich ... durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise selbst im Wege zu stehen. Ich glaube, überall da, wo wir uns nicht freiwillig um des (wahren) Lebens willen von der (gewohnten) Lebensweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen. Das gilt sowohl für das persönliche Schicksal des einzelnen kirchlichen Menschen wie auch für die Institutionen und Brauchtümer. Wir sind trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt.
Die christliche Idee ist keine der führenden und gestaltenden Ideen dieses Jahrhunderts. Immer noch liegt der ausgeplünderte Mensch am Wege.“ (IV 321). Wir werden aufgefordert, von gewohnten Dingen Abschied zu nehmen, Abläufe in Frage zu stellen. 

Die jetzige Zeit erleben viele wie ein heftiges Erdbeben. Nichts ist mehr, wie es ist. Nichts ist mehr selbstverständlich. Wir sind ein Anbieter unter vielen. Wir müssen, wenn wir weiter existieren wollen, es auch zeigen, dass es gut ist, dass es die Kirche gibt. Es geht um die Daseinsberechtigung. Wir müssen uns auf andere Weise in die Gesellschaft einmischen. Es geht um den ausgeplünderten Menschen. Es geht um diejenigen, die zerstört, verletzt und an den Rand geraten sind. Es geht nicht um Erhaltung von Machtstrukturen, um die Erfüllung von Ämtern. Kirche kann nur wieder lebendig werden, wenn sie sich ihrer Wurzeln besinnt. 
Die Urchristenheit merkte, dass es nicht nur darum geht, das Wort zu verkünden. Sie sahen, wie viel Not existierte. Stellvertretend für eine geänderte Handlungsweise wählten sie Stephanus als ersten Diakon.
Bischof Jacques Gaillot hat es einmal so formuliert: Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts. Die Kirche muss wieder anfangen, in den Sprachen der Menschen zu sprechen. Dabei kann sie nicht nur sagen, wie es schon immer war. Sie kann sich vor der Not der heutigen Zeit nicht verschließen. Auch wenn manches nicht verkehrt war, ich darf nicht an Bedürfnissen und Fragen der Menschen vorbeigehen. Wenn ich mich selbst wahrnehme, mit den Fragen und Zweifeln, dem Angefochtensein, kann ich auch die anderen verstehen und sie erreichen.
Vielen Dinge mögen an einem toten Punkt angelangt sein und sind es auch.
Jesus möchte aber auch etwas in uns lebendig werden lassen. Glaube ist keine Pflichterfüllung. Vielmehr geht es um Leben und neue Wege. Es ist höchstens die Pflicht, den Glauben lebendig sein zu lassen. Er spricht das Mädchen an, erweckt in ihr neues Leben. Er durchbricht die Spirale des Todes. Und doch kommen heute immer neue Dolchstiche, die die Lebendigkeit zerstören, Situationen, die keiner so richtig versteht. 
Die elende Diskussion um die Haltung des US-Präsidenten und der Bischöfe ist nur ein Beispiel. Alfred Delp war selbst geprägt durch die konfessionellen Machtspiele, 
er ist zwischen die Mühlen der Macht geraten. Er hat bis zum Schluss dem Leben vertraut. Er soll kurz vor seiner Hinrichtung einem Kollegen gesagt haben, dass er in Kürze mehr wisse, als dieser. Vertrauen wir dem Leben, dem Lebendigen.

Ich wünsche Ihnen und Euch einen gesegneten Sonntag
Ihr und Euer Pfarrer Günter Faust

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