Die eine Wahrheit und
die „vorurteilsfreie Liebe“
Erstdruck 1779 - ohne Verlagsangabe (Wikipedia) |
Schon in Lessings „Nathan“ wird der
Anstoß gegeben, die Gleichwertigkeit der Religionen ernst zu nehmen
(vgl. Joh-Ev. 3,8 und Kap. 14).
Die Aufklärung in Europa hat die Religionen ohne Absolutheitsanspruch angeshen und auch christliche Monopolansprüche relativiert.
Die auf Boccaccio zurückgehende Ringparabel, die Gotthold Ephraim Lessing in einen szenischen Kontext setzt, wird
zu Recht bis heute als Dokument aktiver Toleranz gepriesen. Auch ihre Wirkungsgeschichte
ist bis heute keineswegs abgeschlossen. Bei aller Dialogoffenheit heutzutage stellt sich immer noch die Frage,
ob das Christentum in wirklich ohne Einschränkungen hinter dieser Aussage steht.
Die Intentionen des "Nathan" haben darüber hinaus erhebliche didaktische Konsequenzen für eine interreligiöse Erziehung überhaupt.
Es
eifre jeder seiner unbestochnen
von
Vorurteilen freien Liebe nach!
Es
strebe von euch jeder um die Wette,
die
Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
zu
legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut,
mit
herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
mit
innigster Ergebenheit in Gott
zu
Hülf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
bei
euern Kindes-Kindern äußern,
so
lad ich über tausend tausend Jahre
sie
wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
ein
weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
als
ich und sprechen, geht!
G.E. Lessing, Nathan der Weise, 3.
Aufzug, 7. Auftritt
Gerade
ein dogmatisch eher festgelegtes Christentum tut sich bis heute schwer, die
Konsequenzen dieses aufklärerischen Toleranzbegriffes in die Tat umzusetzen.
Immerhin wird nichts Geringeres behauptet, als dass Christentum, Judentum und
Islam gleichwertig seien und dass die Liebe zum Höchsten sie alle präge.
Darüber hinaus kann man natürlich darüber intensiv sinnieren, was es wohl
bedeutet: „Der echte Ring vermutlich ging verloren.“
Historischer Rückblick und Folgerungen für die Gegenwart
Nathan, der Weise, dieses kunstvoll
zusammengefügte Drama Gotthold Ephraim Lessings, entstand, als ihm seine
Streitschriften gegen den orthodoxen Hauptpastor Goeze in Hamburg verboten
wurden. Mit der Veröffentlichung der Schriften des Reimarus hatte er eine Lawine losgetreten, die die bornierten
Bekenner des Glaubens auf den Plan rief. Sie sahen das ganze christliche
Weltgefüge wieder einmal aufs Tiefste bedroht, sie sehen es noch heute bedroht.
Der Kampf gegen Andersgläubige wird noch immer mit religiösen Argumenten
ausgefochten. Judentum und Islam werden immer wieder verzerrt dargestellt trotz
besserer Information. Auch manche Christen können wohl ohne Feindbild nicht
leben, obwohl ihnen Jesus anderes verkündigte. Um gegen die Feindbilder und die
Intoleranz anzugehen, um die Gleichwertigkeit (nicht Gleichheit) der Religionen
zu betonen, steigt Lessing auf „seine“ Kanzel, das Theater: „Ich muss
versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, dem Theater, wenigstens noch
ungestört will predigen lassen“, hat er gesagt, als er den „Nathan“ schuf.
Gegen
die Intoleranz seiner Gegner stellt er das Humanitätsideal der „von Vorurteilen
freien Liebe“ auf, das sich an der Menschlichkeit in allen Religionen
orientiert und in der Weisheit gelebten Glaubens seine höchste Verdichtung
findet. Nathan wird zur Idealfigur, der Weise hat schon gelernt, der kluge
Sultan lässt sich auf die Weisheit der Toleranz ein, die beiden Frauen, Recha
und die Sultans-Schwester Sittah treiben diese Gedanken mit Charme voran, und
selbst der sympathische, aber doch am christlichen Absolutheitsanspruch
krampfhaft festhaltende Tempelherr sieht sich zu guter Letzt in eine Verwandtschaftslinie gestellt, in der Juden,
Muslime und Christen gleichermaßen Platz haben. Aus solcher Verwandtschaft kann
man sich nicht heraus stehlen, sondern sie ist in ihren positiven Chancen gerade
angesichts zunehmender Konflikte bewusst wahrzunehmen.
Happy-End der anderen Art und ein Funken Hoffnung
Der Plan liebender
Weisheit
Den
Friedenskräften aller Religionen eine Chance.
Darum
du gottholder Gotthold Ephraim,
wollen
wir deine Geschichte
in
unseren Ohren klingen lassen,
damit
nicht angesichts der Blutspuren,
die
Religionen durch die Geschichte zogen,
die
Steine noch mehr schreien.
Und du
gottholder Ephraim –
du
hast dein Rinparabel-Spiel
ganz
listig arrangiert,
so
dass wir sogenannten Aufgeklärten
und
mit den Vorurteilen doch Erfüllten
eigentlich
unsere Spielregeln ändern müssten,
um dieses Spiel mit den drei Ringen
heute zu spielen:
heute zu spielen:
Gott teilt Liebe nicht
nach Konfessionen oder Religionen zu:
Gott liebt sie alle:
Die Juden, die Muslime und die Christen
Und all die anderen
mit den vielen Göttern
und ja auch,
die wieder einen Gott er-kennen
oder an ihn glauben.
Gott liebt auch die Tempelherren,
doch Kreuzesritter müssen eines lernen:
Menschlichkeit bar jeder Vorbedingung,
denn Menschlichkeit ist nicht beschränkt,
sie gilt für alle Menschen.
Gott ist nämlich aller Menschen Gott,
und
alle sind auch seine Kinder.
Da lernt zum Schluss der stolze Tempelherr,
dass die Verwandtschaftslinien oft verworren sind,
und dennoch heilsam enden.
Der Schluss von Lessings Nathan ist kein Märchen,
jedoch ein bisschen märchenhaft,
zu schön, um Wirklichkeit zu werden,
doch nicht zu schön, um wahr zu sein.
Beim schönen Schluss
gibt’s kein Traum-Liebespaar,
beim schönen Schluss, da hört die Trennung auf,
Geschwister alle, weil
der Plan der Weisheit aufgeht.
Der Krieg bringt Menschen auseinander;
die Liebe fügt zusammen,
der Gott der Liebe,
den Juden, Christen, Muselmanen
verschieden doch und gleicherweis verehren.
Dies mitten in Jerusalem,
und darum sei die Stadt auch wirklich
allen heilig.
Aktualisierender
Vorblick
Warum denn heute nicht zurück zu Nathan?
Es ist schon wieder höchste Zeit.
Schon wieder brennen Häuser.
Terror erschüttert immer wieder die Gemüter.
Die Herrschenden
bestimmen über Gut und Böse.
Flüchtlinge suchen verzweifelt
auf schwankendem Boot
nach sicherem Grund.
Schwarze Haut bleibt Zeichen
weißer Vorurteile.
Gott anrufen – und Allah sprechen
gilt als Bedrohung autochthoner Bürger,
Flüchtlingsheime brennen,
Synagogen und Moscheen werden demoliert.
Teehäuser verwüstet.
Wo sind wir bloß schon wieder?
Schau‘n wir auf die Ringe
unserer Religionen.
der Juden Bibel, den
Koran, das Neue Testament,
sie haben alle Kräfte der Versöhnung,
sie wollen nicht
als Schwert und Holzhammer
verschlissen werden.
Vertrauen wir auf ihre Wunderkräfte,
wie wir doch Söhne und Töchter dieses einen Gottes sind.
Denn merke:
Alle sind sie gleich geliebt,
ja wirklich alle.
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Literaturhinweise
- Nathan der Weise: Hintergründe, Inhalt, Szenen-Übersicht
- Reinhard Kirste: Der echte Ring in Lessings Nathan (2013)
- Lessing - drei Religionen - ein Gott und die vorurteilsfreie Liebe
(Dialog der Religionen)
· Dieter Wunderlich: Buchtipp „Nathan der Weise“:
http://www.dieterwunderlich.de/Lessing_Nathan.htm
(abgerufen 29.04.2012)
http://www.dieterwunderlich.de/Lessing_Nathan.htm
(abgerufen 29.04.2012)
· Reinhard Kirste: „Vorurteilsfreie Liebe“
als wesentliche Zielvorstellung interreligiösen Lernens.
In: Eckhart Gottwald / Norbert Mette (Hg.):
Religionsunterricht interreligiös.
Festschrift für Folkert Rickers zum 65. Geburtstag.
Neukirchen Vluyn: Neukirchener Verlag 2003, S. 37–55
als wesentliche Zielvorstellung interreligiösen Lernens.
In: Eckhart Gottwald / Norbert Mette (Hg.):
Religionsunterricht interreligiös.
Festschrift für Folkert Rickers zum 65. Geburtstag.
Neukirchen Vluyn: Neukirchener Verlag 2003, S. 37–55
· Reinhard Kirste: Wegweiser zur Gleichwertigkeit der Religionen.
In: Udo Tworuschka (Hg.): Religion und Bildung
als historische Forschungsfelder.
Festschrift für Michael Klöcker zum 60. Geburtstag.
Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte Bd. 31.
Köln: Böhlau 2003, S. 199–211
In: Udo Tworuschka (Hg.): Religion und Bildung
als historische Forschungsfelder.
Festschrift für Michael Klöcker zum 60. Geburtstag.
Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte Bd. 31.
Köln: Böhlau 2003, S. 199–211
· Karl-Josef Kuschel: "Jud, Christ und Musulmann vereingt"?
Lessings Nathan der Weise.
Düsseldorf 2004. Überarbeitete Neuausgabe:
Im Ringen um den WAHREN RING.
Lessings "Nathan der Weise" -
eine Herausforderung der Religionen. Ostfildern: Patmos 2011 --- Rezension: hier
Lessings Nathan der Weise.
Düsseldorf 2004. Überarbeitete Neuausgabe:
Im Ringen um den WAHREN RING.
Lessings "Nathan der Weise" -
eine Herausforderung der Religionen. Ostfildern: Patmos 2011 --- Rezension: hier
- Weihnachten und der Koran. Düsseldorf: Patmos 2008, 158 S., Abb.
- Karl-Josef Kuschel: Vom Streit zum Wettstreit der Religionen.
Lessing und die Herausforderung des Islam.
Düsseldorf: Patmos 1998, 361 S., Register
© Reinhard Kirste
Relpäd/Nathan4,
29.04.12, bearb. 17.04.2016 u.ö.
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