Montag, 10. Dezember 2018

Wer bin ich? Ilya [Elia] Abu Madi und Wang Wei


Libanon-Zeder
Aus dem Nahen Osten:
 
ILYA [Elia] ABU MADI  

Elia Abu Madi (1889 - 1957) - aus einer christlichen Familie stammend - war  ein bekannter libanesischer Dichter. Er kam  1912 nach Cincinnati (USA) und 1916 nach New York. Dort arbeitete er für Literaturmagazine und baute schließlich eine eigene Zeitschrift auf.


Ich weiß nicht

Ich kam, weiß nicht woher
- kam in die Welt,
Ich sah den Weg
und ward darauf gestellt,
Und werd ihn gehn,
ob mirs auch nicht gefällt –
Wie kam ich, sah den Weg?
Ich weiß es nicht.

Bin ich seit langem hier,
seit kurzen Tagen?
Bin frei ich, bin in Fesseln ich geschlagen?
Trag ich mein Leben, werde ich getragen?
Ich möcht es wissen, doch ich weiß es nicht.
Wird nach dem Tod man auferstehn, gerichtet?
Gibts ewges Leben? Werden wir vernichtet?
Ists Lüge, Wahrheit, was das Volk berichtet?
Ists wahr, dass mancher weiß? Ich weiß es nicht.

Wo ist mein Lachen, Weinen, wie als Kind?
Wo meine Torheit, da ich jugendblind?
Wo meine Träume, die verloren sind,
Doch wie verlor ich sie? Ich weiß es nicht.


Kiefer am Mount Hua, der Heimat von Wang Wei
Aus dem
Fernen Osten: 

WANG WEI

Wang Wei (699-759, zur Zeit der Tang-Dynastie) aus Tai-yüan, Schansi (China) wurde als Maler und  Dichter berühmt. Durch politischen Aufruhr geriet er zwischen die Parteien und wurde gefangen gesetzt. Er kam dann wieder frei und lebte schließlich auf seinem Landsitz am Fluss Wang - ganz dem meditativen Buddhismus zugewandt.



Ein Dorf am Fluss

Schräg auf den Dorfplatz scheint
Die letzte Sonnenhelle,
Durch enge Gassen kehren
Die Herden in die Ställe.

Ein alter Bauer wartet
Vorm Tor aus Dorngeflecht,
Schaut, auf den Stock gestützt,
Aus nach dem jungen Knecht.

Schrei der Fasane schallt
Aus hohem Weizen her.
Die Seidenraupen schlafen,
Der Maulbeerbaum ist leer.

Wo Bauern sich begegnen,
Plaudern sie eine Weile,
Die Hacke auf der Schulter,
Und haben keine Eile.

Neid fühl ich vor der Muße
Althergebrachter Welt,
Und was ich singe, klagt,
Dass Einfachheit verfällt.


Beide Texte aus: Wilhelm Gundert / Annemarie Schimmel / Walter Schubring (Hg.):

Lyrik des Ostens. Gedichte der Völker Asiens vom Nahen bis zum Fernen Osten. 
Wiesbaden: Marix (Lizenz Hanser-Verlag München), 2004, S. 76 und 290


Vgl. auch:
Reiner Schrader: Von Sappho bis Chirico.Gedichte - Vorbilder - Nachdichtungen.
Norderstedt: Books on Demand 2001, 188 S.



CC





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen